Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland und ihr Diakonisches Werk betreiben mit der Sophien- und Hufeland Klinikum gGmbH in Weimar ein evangelisches Akut- und Lehrkrankenhaus.
Sie haben als Kirche bzw. kirchliche Einrichtung die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten bislang stets auf der Grundlage ihres Kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ausgehandelt. Dieses Recht ist unmittelbar in der Verfassung verankert (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 140 GG, Art. 137 Abs.3 WRV). Wollen Kirchen diesen sog. Dritten Weg beschreiten, müssen sie sich nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts an strenge Fairness-Vorgaben halten. So müssen sie die Arbeitsbedingungen u.a. in einer mit Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite und unter Beteiligung von Verbänden und Gewerkschaften paritätisch besetzten Arbeitsrechtlichen Kommission verhandeln und Streitigkeiten in einem Schlichtungsverfahren klären. Dieses Verfahren ist aktuell abgeschlossen.
Die Gewerkschaft ver.di will dieses kirchliche Selbstbestimmungsrecht nicht länger akzeptieren. Sie verlangt, dass die Kirche mit ihr in gesonderte Tarifverhandlungen tritt, damit sie ihre gewerkschaftlichen Positionen durchsetzen kann. Sie beruft sich ihrerseits auf ein verfassungsrechtlich verankertes Recht der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) und ein hieraus abgeleitetes Streikrecht.
Damit kollidieren auf beiden Seiten grundgesetzlich geschützte Rechtsgüter. Der angemessene Ausgleich zwischen den Rechten der Kirche und der Gewerkschaft ver.di verlangt eine fundierte, gerichtliche Tiefenprüfung. Zu diesem Zweck hat die kirchliche Seite vor dem Arbeitsgericht Erfurt ein Hauptsacheverfahren eingeleitet, in dem alle Tatsachen- und Rechtsfragen letztlich obergerichtlich geklärt werden können (Az.: 5 Ca 1304/24). Eine Entscheidung des Arbeitsgerichts Erfurt ist am 19.02.2025 zu erwarten.
Diese Tiefenprüfung will die Gewerkschaft ver.di nicht abwarten. Das Arbeitsgericht Erfurt hatte bereits einen zum 01. August 2024 geplanten Warnstreik untersagt. Nun hat die Gewerkschaft ver.di für den 14. Oktober 2024 erneut zu einem Warnstreik aufgerufen.
Die Arbeitgeberseite will auch diesen Warnstreik mit einem Eilverfahren beim Arbeitsgericht Erfurt abwenden.
In einem solchen Einstweiligen Verfügungsverfahren erfolgt wegen der Eilbedürftigkeit nur eine eingeschränkte gerichtliche Prüfung, gerade keine Tiefenprüfung. Die 6. Kammer des Arbeitsgericht Erfurt ist nach der heutigen mündlichen Verhandlung erneut zu dem Ergebnis gelangt, dass bei einer summarischen Prüfung der Rechtslage der kirchlichen Seite derzeit keine Tarifverhandlungen aufgezwungen werden können und der geplante Warnstreik rechtswidrig wäre. Das Beschreiten des sog. Dritten Wegs ist jedenfalls nicht offensichtlich rechtswidrig. Wägt man die Folgen eines Warnstreiks ab, überwiegt das Unterlassungsinteresse der kirchlichen Seite. Sie wäre wegen der wirtschaftlichen Folgen und zum Schutz ihrer Patienten unter Umständen gezwungen, in umfänglichen Tarifverhandlungen für nur einen Teil ihrer Beschäftigten Tarifrecht zu vereinbaren. Dieses wäre bei ihrem Obsiegen in der Hauptsache nicht oder nur schwer wieder rückgängig zu machen. Die Gewerkschaft ver.di muss bei Untersagen von Warnstreiks nur eine zeitlich eingeschränkte Beeinträchtigung ihrer Rechte hinnehmen. Sollte sie in der Hauptsache obsiegen, könnten Tarifvertragsverhandlungen nachgeholt werden. Damit besteht sowohl ein Verfügungsanspruch als auch ein Verfügungsgrund für das Untersagen des Warnstreiks.
Gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts Erfurt kann Berufung zum Thüringer Landesarbeitsgericht eingelegt werden.
Anmerkung:
Die Arbeitsbedingungen der Beamten werden durch Gesetz geregelt (sog. Erster Weg).
Die Arbeitsbedingungen tarifgebundener Arbeitnehmer und Arbeitgeber werden durch Tarifvertrag geregelt (sog. Zweite Weg).
Die Arbeitsbedingungen in Kirchen und kirchlichen Einrichtungen werden durch den sog. Dritten Weg geregelt. Dieser beinhaltet u.a. eine Kirchliche Arbeitsvertragsordnung der Arbeitsbedingungen (Arbeitszeit, Teilzeit, Arbeitszeitkonto, Eingruppierung, Jahressonderzahlungen, betriebliche Altersversorgung etc.).
Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Poststelle des Arbeitsgerichts (aberf.poststelle@justiz.thueringen.de).
Erfurt, den 9.10.2024
Arbeitsgericht Erfurt